Die letzte Rose der Romantik: Ralph Vaughan Williams’ Oboenkonzert (1942)

 
 
 

1. Einleitung
2. Die ersten Aufnahmen
3. Léon Gossens 1952
4. Mitch Miller 1947
5. Evelyn Rothwell 1956
6. Im Detail: der erste Satz
7. Im Detail: der zweite Satz
8. Im Detail: der dritte Satz
9. Fazit
10. Live Aufnahme mit Matthias Arter

 

1. Einleitung

Oboenkonzerte im 20. Jahrhundert: bis 1960 ein trauriges Kapitel Musikgeschichte: Wir Oboisten leiden noch heute unter nicht komponierten (z.B. Claude Debussy) und sogar nicht gewollten (z.B. Carl Nielsen) Werken für Oboe! Während später praktisch alle bedeutenden Komponisten durch Musiker wie Lothar Faber und Heinz Holliger dazu angehalten wurden für sie zu schreiben, sind uns aus der Periode zuvor lediglich die konzertanten Werke von Ralph Vaughan Williams (1944), Richard Strauss (1945), Bernd Alois Zimmermann (1952) und Bohuslav Martinu (1955) als Kompositionen von bleibender Bedeutung erhalten.
Ralph Vaughan Williams (1872 – 1958) schrieb sein Oboenkonzert zum Ende des 2. Weltkrieges für den damals bekanntesten Oboisten, Léon Gossens. Es ist eine dreisätzige Komposition, die stets von einem leicht melancholischen Schleier umhüllt wird. Der Oboe tritt ein Streichorchester gegenüber, welches im übrigen nicht unbedingt gross besetzt sein muss. Die Uraufführung musste wegen drohender Raketenangriffen von London („Proms“) nach Liverpool verlegt werden. Es existieren drei Aufnahmen des Werkes, die zu Lebzeiten des Komponisten entstanden sind; diese drei Aufnahmen sind ein Zeugnis der damals herrschenden und sich bereits wandelnden Spielkultur nicht nur des Oboenspieles, sondern vor allem auch des allgemeinen Zugangs zu Musik, Texttreue und Umgang mit der sich rasch verbessernden Aufnahmetechnik.

 

2. Die ersten Aufnahmen

Die Aufnahme mit dem Widmungsträger ist zwar die zweite, dennoch: wegen des Alters (55) und der speziellen Ausstrahlung des Solisten ist sie diejenige, die am ehesten den „alten Stil“ widerspiegelt, den Stil, der sich agogische Freiheiten nimmt, die sich heutige SolistInnen kaum mehr erlauben würden. Man fühlt sich eher an eine Liveaufführung erinnert und hat nicht das Gefühl, einer wohl austarierten und perfektionierten oder konfektionierter Aufnahme beizuwohnen. Noch vor ihm (1947) begab sich in den U.S.A. der 36-jährige Mitch Miller ins Studio, etwas später die 45-jährige Evelyn Rothwell (mit ihrem 12 Jahre älteren Ehemann Sir John Barbirolli als Dirigenten). Alle drei Aufnahmen nehmen sich (im Vergleich mit neueren Versionen) ungewohnt grosse Freiheiten in Agogik und Tempostabilität und erreichen damit eine ungeahnte Expressivität. Wir werden uns deshalb in den folgenden Analysen auf diesen Aspekt konzentrieren und andere Bereiche wie Klang, verschiedene Textversionen, Balance etc nur am Rande streifen.

 

3. Léon Gossens, 1952

Da Vaughan Williams bei seiner Komposition zweifellos die Spielweise von Léon Goossens im Sinn hatte, muss dessen Aufnahme Referenzstatus zugemessen werden. Die Form des Konzertes ist sehr frei – der erste Satz beispielsweise besteht zur Hälfte aus Kadenzen und kadenzartigen Abschnitten, die Reprise etwa geht gänzlich in einer begleiteten Kadenz auf! – zahlreiche Passagen der Oboe sind figurativen Charakters und die polyphone Struktur der Begleitung als auch die Ausdehnung der Zwischenspiele sind auf ein Minimum reduziert (man vergleiche einmal mit Strauss’ geradezu symphonischen Oboenkonzert!). Goossens Spielweise finden wir dokumentiert auf zahlreichen Orchesteraufnahmen des Queen’s Hall Orchestra, des Royal Philharmonic Orchestra und des London Philharmonic Orchestra, und sie war prägend für eine ganze Generation von OboistInnen, er war der erste, der das Vibrato flächendeckend praktizierte und sich in solistischen Passagen überaus espressiv in Szene setzte.

Georges Bizet: Symphonie C-dur, 2. Satz (London Philharmonic Orchestra, Leitung: Walter Goehr)

Diese Art des „Tempo rubato“, also das Spielen ausserhalb der metronomisierten Zeit, ist bestimmend für seine Interpretation des Vaughan Williams-Konzertes. Léon Gossens gestaltet extrem frei, singt und deklamiert im Stil einer Primadonna assoluta und setzt dafür auch gelegentlich das Zusammenspiel mit dem Orchester aufs Spiel. Dennoch funktioniert der Dialog über weite Strecken erstaunlich gut, die Tempofluktuation ist organisch, die Begleitung aufmerksam.

 

4. Mitch Miller, 1947

Auch der erste Interpret auf Schallplatte, Mitch Miller, war eine schillernde Persönlichkeit, spielte bereits mit 20 Jahren für Leopold Stokowsky und machte Jazz-Aufnahmen mit Alec Wilder. Er nahm (ebenfalls 1947) die Konzerte von Mozart (interessante Kadenzen!) und Cimarosa auf. Sein Vibrato ist weniger ausladend als dasjenige von Goossens, gelegentlich auch etwas unkontrolliert, sein Rubato ist diskreter, aber sehr sprechend, persönlich und berührend.

Seine Interpretation des Konzertes von Vaughan Williams wirkt gegenüber Goossens Variante etwas kontrollierter, mehr dem Schönklang gewidmet. Die Extreme sind nicht so sehr in der Agogik zu finden, als vielmehr in den Tempounterschieden zwischen den einzelnen Abschnitten. Die Aufnahmetechnik lässt den Solisten gelegentlich im Orchesterklang untergehen, seine Dynamik ist weniger ausladend. Auffallend ist, dass sich Miller unglaublich viele Ungenauigkeiten, bzw. Änderungen im Notentext erlaubt. Dies sowohl bezüglich Artikulation als auch Änderung von Noten (sogar im Orchester

 

5. Evelyn Rothwell, 1956

Evelyn Rothwell, im gleichen Jahr wie Mitch Miller geboren (1911) und somit eine knappe Generation jünger als Goossens, war dessen Studentin am Royal College of Music und übernahm seine Art des solistischen, vibratogesättigten Spieles; sie war Mitglied des London Symphony Orchestra (1934 – 39) und danach vorwiegend solistisch sowie als künstlerische Sekretärin Ihres Ehemannes Sir John Barbirolli tätig. Ihr Buch „Oboe Technique“ von 1952 war zusamen mit ihrer Unterrichtstätigkeit an der Royal Academy of Music bestimmend für eine ganze englische Oboistengeneration. Die rigide Kontrolle über die Agogik hat bereits eingesetzt, man spielte bereits deutlich weniger ausschweifend und legte mehr Wert auf das präzise Zusammenspiel. Dies wohl unter dem Einfluss einiger Dirigenten, welche der Aufnahmetätigkeit zunehmend grössere Priorität einräumten und bereits in dieser Zeit begannen, nach grösserer (v.a. vertikaler) Perfektion zu streben. Als Illustration dieses gegenüber Goossens bereits „moderneren“ Stiles dient Rothwells Version des 2. Satzes der Sinfonie Nr. 1 von Johannes Brahms (1939)!

Johannes Brahms: 1. Sinfonie op.68, 2. Satz (London Symphony Orchestra, Leitung: Felix Weingartner)

In ihrer Interpretation des Vaughan Williams Konzertes – zu dieser Zeit (1956) war sie bereits „Lady Barbirolli“ – gibt sie eine Kostprobe ihres kontrollierten und dennoch persönlichen Oboenspieles. Sie spielt agogisch gleichförmiger als ihre Vorgänger: der Dirigent dirigiert, sie spielt dazu. Bei Gossens war es offensichtlich umgekehrt: er spielt und der Dirigent versucht zu folgen! Die Aufnahmetechnik ist deutlich besser, wir befinden uns bereits in der LP-Ära, kurz vor dem Durchbruch der Stereotechnik. Der Orchesterpart ist hörbar polyphon durchgestaltet, Rothwells Oboenklang ist häufig aufdringlich, ihr Vibrato stark und eher langsam. Die dynamische Gestaltung des Soloparts nimmt häufig keinerlei Rücksicht auf die notierten Nuancen und sie muss sowohl im Piano- als auch im Fortebereich extrem genannt werden!

 

6. Im Detail: der erste Satz

Allegro moderato (MM: Viertel = 88)

Der erste Satz ist ein eigentliches Portrait des Widmungsträgers Léon Gossens und besteht etwa zur Hälfte aus Kadenzen und kadenzartigen Abschnitten. Die Form ist dementsprechend frei, es sind aber folgende fünf Abschnitte verschiedenen Charakters auszumachen.

1. Thema (Beginn)
2. Thema (C) (scherzoso)
3. Thema (F) (cantabile)
Cadenza accompagnata mit Elementen einer Reprise (H)
Coda (L)

Die Reprise ist derart ausgestaltet, dass ein auskomponiertes Metrum im Orchester nur noch gelegentlich und für wenige Takte erscheint, die Musik folgt gänzlich den frei, quasi improvisando gestalteten Linien der Oboe.

Offensichtlich war die Tempoangabe des Komponisten (wie auch bei den anderen Sätzen) lediglich als ungefähre Orientierung gedacht, keineswegs als durchgehender Puls. Dies war in der Zeit der Entstehung der Komposition und im postromantischen Stil ohnehin unüblich, wie sämtliche Aufnahmen aus dieser Epoche zeigen. So ist es nicht überraschend, dass die drei InterpretInnen recht individuelle, aber in gleichem Masse freie Lösungen wählen.

NB. Tempoangaben sind als Tempobereiche zu verstehen, da innerhalb der Abschnitte teilweise starke Veränderungen (ritardandi, accelerandi) stattfinden.

Die Tempomodifikationen entsprechen offensichtlich einem üblichen Aufführungsstil der Epoche. Es gibt keinen Grund in diesem Bereich an der Kompetenz der MusikerInnen zu zweifeln, sie gehörten allesamt zu den Koryphäen ihrer Zeit! Auch die modernste Aufnahme, die im Kleinen wenig Tempo Rubato praktiziert (Rothwell), zeigt Tempobereiche zwischen 50 und 96. Die eigenwilligste mit Gossens dagegen ist nur scheinbar moderater; seine Kadenzen erreichen die unglaublichsten Geschwindigkeiten und Freiheiten; der Grund für den geringen Unterschied in der Gesamtspielzeit liegt in der ausladenden Gestaltung der Ritardandi.

Einige Besonderheiten der drei Interpretationen seien hier noch gesondert erwähnt, um die oben geschilderte Charakterisierung zu illustrieren

Goossens: Beginn des Werks tastend, sehr frei, ohne Bruch in die Kadenz übergehend, rasende Skalen, sehr improvisativ (dasselbe gilt auch für die Kadenzen nach H)

Miller vor A: er variiert die Artikulation eigenwillig (notiert ist Legato!) und erzielt dadurch einen äusserst effektvollen dialogischen Charakter

Rothwell bei B: wenig Freiheit für die Solistin, „der Dirigent dirigiert, die Solistin spielt mit“.

Miller bei B: wiederum eigenwillige Gestaltung der Artikulation, alles deklamierend gestossen (notiert ist legato).

Gossens nach C: Probleme mit der Koordination durch stark agogische Gestaltung. Schwer nachvollziehbares Ritardando vor D, danach weiterhin viel Agogik, was eine Koordination verunmöglicht.

Rothwell bei C: Seltsame Variante, falsche Noten, extreme Dynamik, behäbig und aufdringlich

Miller nach D: sehr seltsame Variante (eher eine simplified version, musikalisch eher nicht sinnvoll) mit Tonrepetitionen anstelle Quinten- und Sextensprüngen.

Miller nach K: variables Vibrato und feine agogische Gestaltung

Rothwell nach K: viele kleine Schweller, dynamische Extremgestaltung, wie zB. das völlige Ignorieren des pp nach L

Goossens nach K: Phrasierung zusammenfassend, rhythmisch sehr frei, auch sehr verspielt

 

7. Im Detail: der zweite Satz

Minuet & Musette (MM: ganzer Takt = 64)

Der zweite Satz ist ein dreiteiliges Menuett mit einem Dudelsack-Trio (Musette) und einer frei auskomponierten Reprise. Alle vorliegenden Aufnahmen spielen das ganze Stück in einem stabilen Tempo ohne grosse Temporückungen. Für einen rudimentären Tempovergleich sind deshalb die blossen Spieldauern schon recht aussagekräftig:

Als Illustration für die drei unterschiedlichen Interpretationen sollen je die ersten 20 Takte stehen.

Bei Miller stellen wir eigenwillige (aber nicht unmusikalische) Veränderungen bezüglich Notentext fest (Artikulation), zB. in der Überleitung zur Musette.

Dieselbe Stelle wird bei Goossens mit einem ausladenden Ritardando versehen.

 

8. Im Detail: der dritte Satz
Finale (Scherzo), Presto (Ganzer Takt = 86)

Nach dem „kleinen Scherzo“ im ersten Satz (Ziffer C), dem „mittleren Scherzo“ (dem 2. Satz) folgt als Finale ein grosses Scherzo. Es ist der längste Satz des Werkes und ist wie der erste Satz eine relativ freie Ausgestaltung einer herkömmlichen Form: Nach einem längeren Abschnitt, welcher nicht weniger als 8 (!) Themen exponiert, wird als ganz kurze Phrase ein 9. Thema eingefügt, welches erst später (nach V) zu einer Reminiszenz an das bekannte Volkslied „Last rose of summer“ ausgeführt werden soll. Einem kurzen Rückgriff auf das erste Thema folgt sodann eine kurze Kadenz und im Tempo „doppio più lento“ ein ausdrucksvoller Gesang der Oboe über einfachen Harmonien der Streicher.

Formal komponiert Vaughan-Wiliams also wiederum eine dreiteilige Form (wie man das bei einem Scherzo ohne weiteres vermuten würde!).

I. Scherzo (Themen 1 – 9) - Kadenz
II. Doppio più lento (N)
III. Verkürzte Reprise Scherzo (13 Takte nach R) (Themen 3, 5, 6, 7, 8) – Lento-Einschub (Thema 9 „Last rose of summer“) – Reprise Thema 1 (Kadenz und Reminiszenz an erstes Motiv des 1. Satzes)

Die technischen Anforderungen des 3. Satzes sind deutlich höher als diejenigen der Sätze 1 und 2, es sind schnelle Passagen zu bewältigen, die nicht unbedingt gut in den Fingern liegen; das gilt sowohl für den Solo- auch für die Orchesterparts. Zudem waren die nachträglichen Schnittmöglichkeiten noch nicht gegeben, was bedeutet, dass wir längere Abschnitte ohne Korrekturen hören. Ein gewisses Stresspotential ist also von der Anlage her bereits gegeben und die Auswirkungen davon sind speziell in Millers Aufnahme deutlich zu hören. Er nimmt die Herausforderung sehr sprtlich und wirkt dadurch unruhig und verkrampft.

Goossens nimmt im Vergleich dazu ein ruhigers, beinahe gemütliches Tempo, welches viel Raum für Charakterisierung und Artikulation auch im Orchester zulässt.

Evelyn Rothwell spielt impulsiv, kapriziös, technisch nicht ganz sauber, aber mit viel Wille zur Charakterisierung der einzelnen Themen.

In der ersten Kadenz spielt Miller ein eigenartige Version: er übernimmt nicht die Achtelbewegung des Orchesters, sondern spielt eine Fermate auf dem hohen C, bevor er sich in die Läufe stürzt.

Dagegen spielt Goossens die Passage gemäss Notentext, teilweise in einem rasenden Tempo.

Um Unterschiede zwischen den drei Aufnahmen festzustellen, ist es äusserst aufschlussreich, einen Blick auf eine Tabelle mit den Spieldauern der einzelnen Abschnitte zu werfen.

Während die schnellen Teile von allen in relativ ähnlichem Tempo gespielt werden (Gossens ist dabei der gemütlichste), sind die Unterschiede in den langsamen Abschnitten signifikant. Während Léon Goossens das „doppio più lento“ (Halbe wird Viertel) recht genau umsetzt, die Musik ganz deutlich in ganzen Takten empfindet und so eine überzeugend deklamierte und gesprochene Version erzielt, dirigiert in Evelyn Rothwells Aufnahme Sir John Barbirolli ganz deutlich in drei Taktzeiten und realisiert so einen vertikalen, statischen Ausdruck, in welchem sich die Oboistin wenig Platz für Rubato nimmt. Der Takt wird zum Viertel, realisiert ist also ein praktisch dreimal langsameres Tempo). Man beachte die klangliche Ähnlichkeit von Lehrer (Gossens) und Schülerin (Rothwell)!

Mitch Miller wählt auch an dieser Stelle einen Mittelweg, seine Interpretation schwebt vor allem dann sehr schön, wenn er alleine spielt, pflegt ein ansprechendes, nie übertriebenes Rubato und gestaltet einen intensiven Klagegesang; das Orchester bremst ihn in den begleiteten Passagen aber tempomässig etwas zu sehr ab, sodass der Fluss der Musik unterbrochen wird.

Beim Lento-Einschub („Last rose of summer“) zeigt sich dasselbe Bild: Rothwell/Barbirolli wählen das langsamste Tempo (hier allerdings gemäss Vaughan-Williams Partiturangabe „ganzer Takt wird Viertel“ richtig!), Gossens wählt ungefähr die Relation „ganzer Takt wird Halbe“, was musikalisch durchaus schlüssig wirkt, da es den Zusammenhang mit dem 9. Thema bei K besser verständlich macht. Die „absolute“ Tempoangabe für diese Stelle wäre Halbe=43, dh. Rothwell ist langsamer, die beiden Herren schneller.

Als Schlusspunkt folgt hier noch ohne Kommentar die letzte (und recht knifflige) Kadenz in allen drei Interpretationen. Es sei noch einmal daran erinnert, dass Fehler nicht nachträglich korrigiert werden konnten, es sich also um den Schluss eines wohl 3 oder 4-minütigen Takes handelt. Es wird höflich um Nachsicht mit den hier zu hörenden Versionen gebeten…

Ende Rothwell TON 31

 

9. Fazit

Die drei Aufnahmen zeigen deutlich, dass sich zwischen 1947 und 1956 einiges am allgemeinen Interpretationsansatz geändert hat. Die Freiheit, welcher sich ein Léon Gossens ganz selbstverständlich und ein Mitch Miller etwas gemässigter nimmt, wird in den 50er Jahren generell aufgegeben zugunsten einer stark vertikal bestimmten, stets nachvollziehbaren rhythmischen Kontrolle. Sämtliche mir bekannten späteren Aufnahmen setzen diese damals "moderne" Richtung fort, am extremsten wohl diejenige mit Maurice Burgue und dem English String Orchestra unter William Boughton, der sich durch das ganze Konzert hindurch praktisch kein Rubato erlaubt und insofern eine konsequente Fassung bietet (Nimbus Records). In einer Zeit, in welcher viel von authentischer oder historisch informierter Aufführungspraxis die Rede ist, sollte es aber eigentlich selbstverständlich sein, dass man sich auch bei Musik des 20. Jahrhunderts um stilistisch Belange kümmert. Schätzen wir uns vor allem glücklich, dass wir von diesem so speziellen Oboenkonzert erstklassige und authentische Belege für die Spielpraxis der Zeit besitzen!

 

10. Matthias Arters eigene Live-Aufnahme

Nach langer Beschäftigung mit dem Werk und vielen Konzerten mit verschieden gross besetzten Orchestern, mal mit, mal ohne Dirigent, konnte ich kürzlich mit dem Kammerorchester I Tempi Basel (Leitung Gevorg Gharabekyan) eine Aufführung „im alten Stil“ realisieren, die hier als Konzertmitschnitt angehört werden kann. Viel Spass dabei!